Das Transfer-Projekt entstand im Sommersemester 2009 nach einer Idee von Heiner Blum gemeinsam mit Studierenden der Universität Konstanz. Heiner Blum hatte zuvor die mit dem Neubau des Y-Gebäudes der Hochschule einhergehende Ausschreibung des Kunst-am-Bau Wettbewerbs des Landes Baden-Württemberg gewonnen. Der Konstanzer Exzellenzcluster »Kulturelle Grundlagen von Integration« nahm dies zum Anlass, Heiner Blum als artist-in-residence an den Bodensee einzuladen, damit er sich mit den besonderen fachlichen wie architektonischen Gegebenheiten vor Ort auseinandersetzen konnte. Mit der Einladung sollte die bei solchen Projekten häufig für alle Beteiligten unbefriedigende Situation vermieden werden, dass die Kunst-am-Bau nicht wirklich etwas mit ihrem Umfeld zu tun hat. Im Gegenteil sollte der künstlerische Prozess für Interessenten geöffnet und gerade in Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation vor Ort entwickelt werden.
Für die diskursive Anbindung des Projekts an die Hochschule sorgte ein Seminar, das Heiner Blum und ich gemeinsam im Sommersemester 2009 für Studierende des Studiengangs »Literatur – Kunst – Medien« anboten. Das große Interesse an solch praxisorientierten Lehrveranstaltungen belegt einmal mehr, dass sich die Universitäten aus studentischer Perspektive sehr viel stärker gegenüber der Praxis öffnen und so besser auf die späteren Anforderungen im zeitgenössischen Kunst- und Kulturbetrieb vorbereiten sollten. Im Transfer-Seminar wurde versucht, die freie Projektarbeit, wie sie vor allem an Kunsthochschulen praktiziert wird, mit der an Universitäten üblichen Erstellung einer forschungsorientierten Seminararbeit zu verbinden. Das Ergebnis dieser Verschränkung von wissenschaftlichen und künstlerischen Vorgehensweisen ist das Transfer-Magazin, eine 208-seitige Buch-Publikation die zum Abschluss des Projekts erschien.
Bachelor- und Master-Studierende waren eingeladen, sich ein eigenes Thema zu suchen und dies eigenständig zu bearbeiten. Die Seminarleitung begleitete die Recherchen und den Schreibprozess, gab weiterführende Hinweise oder half über die eine oder andere Schwierigkeit hinweg. Die Kombination aus selbstständiger forschungsorientierter Projektarbeit und intensiver Betreuung durch die Lehrenden wurde von allen Teilnehmern als ausgesprochen produktiv erfahren und kann deshalb emphatisch zur Nachahmung empfohlen werden.
Parallel zum Seminar stand es den Studierenden frei, sich an der Produktion der Transfer-Figuren zu beteiligen, die Heiner Blum im Rahmen des Kunst-am-Bau Vorhabens für den Universitätsneubau entwarf. Sie wirkten bei der Gestaltung der Bildmotive mit und assistierten bei den Foto-Shootings oder Glasarbeiten. Die Figuren markieren zugleich den Ausgangs- und Endpunkt des Transfer-Projekts. Sie stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der seit kurzem als Elite-Hochschule geadelten Campus-Universität auf dem Gießberg. Die handwerklich präzise ausgeführten Darstellungen spiegeln nicht den mitunter auch etwas elitären Forschergeist wider, sondern holen gerade im Gegenteil prekäre Figuren in flüchtigen und ungewissen Situationen herein: ein indischer Kofferträger, ein afrikanisches Flüchtlings-paar, ein Supermarktjunkie, ein Habenichts, ein Tramp, ... In diesem Sinne beinhalten die Transfer-Figuren eine zutiefst integrative Geste. Eine Geste, die zugleich den engen Horizont des funktionalen Bürogebäudes gegenüber der sozialen Realität öffnet und so ihrerseits zahlreiche Übergänge schafft.
Sven Sappelt